»Den Einrichtungen geht es schlecht!«
Am 27.08.2025 hat die Stadtkultur im Rahmen der Sitzung der Städtischen Deputation für Kultur mit einem Input die Deputierten über die aktuelle Situation der freien Einrichtungen informiert sowie die aus unserer Sicht strukturelle Transformation in diesem Bereich skizziert und Politik und Verwaltung die Perspektive einer gemeinsamen Entwicklung einer zukünftigen Kulturförderstrategie vorgeschlagen.
Für die Stadtkultur vorgetragen haben in der Deputationssitzung: Rebecca Gefken (Vorständin Stadtkultur und stellvertretende Geschäftsführerin von “belladonna”), Janine Behrens (Geschäftsführerin “Künstler:innenhaus”) und Thomas Hartmann (Geschäftsführer Stadtkultur)
Der folgende Text dokumentiert unseren Beitrag.
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Part 1: Die aktuelle Situation: Evaluation, Beispiele, strukturelle Analyse
Anfang des Jahres haben wir Feedbacks aus den Einrichtungen erhalten, die die Entwicklung ihrer finanziellen Situation als sehr pessimistisch einschätzen. Hierbei handelt es sich nicht nur um kleine, sondern auch um größere und etablierte Zentren. Deshalb haben wir bereits im Frühjahr eine Evaluation durchgeführt, um uns ein besseres Bild machen zu können.
Evaluation und Ergebnisse
Auf die Frage „Wie schätzt Ihr die finanzielle Situation Eurer Einrichtung in den Jahren 2025, 2026 und 2027 ein, wenn Ihr auf Eurem aktuellen Niveau (finanziell, personell und hinsichtlich Eurer Angebote) weiterarbeitet?“ haben knapp 80% geantwortet: dass ihre finanzielle Situation in den Jahren 2025, 2026 bzw. 2027 nicht gesichert sei. – Wobei dies für 50% erst für 2027 zutrifft.
Als konkrete Maßnahmen gegen die “existenzielle Bedrohung oder Insolvenz” nannten 28%: “Entlassungen”, 17%: dass auslaufende Verträge nicht verlängert würden, 33%: dass Stellen unbesetzt blieben, 56%: dass Stunden reduziert werden müssten und 45%: dass die Angebote und Öffnungszeiten eingeschränkt werden müssten.
Auf die Frage: „Um wieviel Prozent müsste die aktuelle Förderung erhöht werden, damit Eurer Einrichtung in den Jahren 2025, 2026 und 2027 auf dem aktuellen Niveau (finanziell, personell und hinsichtlich Eurer Angebote) weiterarbeiten kann?“ antworteten die meisten Einrichtungen: “mit ca. 15%”.
Die mit diesem Schlaglicht auf die Evaluation konturierte Situation hört sich dramatisch an – und ist es auch:
Das verdeutlicht bspw. auch ein Blick auf die Inflationsrate. Wenn wir das Jahr 2020 als Ausgangspunkt nehmen, da in 2020 bei vielen Einrichtungen die institutionelle Förderung angepasst wurde, und uns entsprechend die Inflationsrate in Deutschland für die Jahre 2021 bis heute laut den Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) betrachten, dann lässt sich eine durchschnittliche Inflationsrate von gut 20% konstatieren. Die institutionelle Förderung wurde jedoch in diesem Zeitraum für die freien Einrichtungen nur um 5% angehoben. Das bedeutet, dass diese bzgl. der Inflationsrate um ca. 15% hinterherhinken – und das macht sich sukzessive bemerkbar
Hinter diesen Zahlen stehen reale Folgen. Folgen, die wir täglich spüren: in gekürzten Programmen, in Überstunden, in fehlender Lohnangleichung und in der wachsenden Gefahr von Altersarmut. Das bedeutet: Einrichtungen stehen unter ernormen Druck. Beschäftigte arbeiten ohne faire Bezahlung, oft mit Überstunden und ohne Sicherheit. Qualifiziertes Fachpersonal zu finden wird immer schwieriger. Nach jahrzehntelanger Arbeit – wie zum Beispiel bei belladonna – steht am Ende oft nur ein Wohngeld-Anspruch.
Und für die Stadtgesellschaft heißt das: Attraktivitätsverlust, sinkende Qualität und eingeschränkte Öffnungszeiten.
Jetzt möchten wir einen Blick in die Praxis werfen.
Beispiele aus der Praxis
Zur Inflationsbelastung in der Soziokultur:
In den letzten drei Jahren sind die Kosten für Instandhaltung, Wartung und Reparaturen in unseren Häusern massiv gestiegen – allein beim Güterbahnhof um ca. über 10.000 € jährlich. Handwerker*innenleistungen haben sich zum Teil nahezu verdoppelt, von 44 € auf 78 € pro Stunde. Diese Preissteigerungen schlagen sich in allen Rechnungen nieder.
Zur persönlichen Perspektive und Altersarmut:
Viele von uns im Kulturbereich haben langjährige, vielfältige Ausbildungswege hinter sich – von Handwerks- bis Hochschulabschlüssen, ergänzt durch jahrelange Arbeit in Projekten, oft in Teilzeit, oft nebenher in anderen Jobs. Endlich in den Positionen angekommen, die wir gelernt haben, sehen wir uns dennoch mit prekären Perspektiven konfrontiert: Unsere Rentenbescheide sprechen von Altersarmut – trotz voller Berufstätigkeit. Vergleichbar sind unsere Gehälter mit denen von Pflegekräften, die gesellschaftlich ebenso unverzichtbare Arbeit leisten.
Praxisbeispiel Künstler:innenhaus Bremen:
- Um das unverschuldete Defizit durch Teuerungsraten auszugleichen mussten wir in den letzten drei Jahren Personal und Programm kürzen: 0,75 VZÄ – das sind eine administrative Assistenz und Reinigungskraft, eine studentische Aushilfe und eine Honorarkraft für die Aufsichten in der Galerie.
- Wir machen eine Ausstellung weniger im Jahr und haben einen Tag Öffnungszeit komplett gestrichen sowie eine Stunde an allen weiteren Tagen reduziert.
- Auch wir haben nur einen 10 Jahres Mietvertrag – inkl. Staffelmiete. Diese Mieterhöhungen sind faktisch eine Kürzung unserer Förderung. Denn die Weitergabe an die Mitglieder im Haus, reicht nicht aus: Seit 2022 wurde die Miete bereits in zwei Schritten für alle erhöht – und eine weitere Erhöhung ist zu 2026 geplant. Aber damit die einjurierten professionell arbeitenden Künstler:innen noch von der subventionierten Arbeitsumgebung profitieren und ihre Mieten bezahlen können.
- Das KH umfasst 2600 qm, 17 Ateliers für Bildende Künstler:innen und 11 weitere Studios, Werkstätten für die Keativszene, ein Gastatelier und eine Galerie mit internationalem Programm und 5 Förderprogramme. All das stemmen wir gerade mit fünf Personen oder anders gesagt 3 VZÄ.
Die Zahlen und Beispiele zeigen es deutlich: Die Situation ist nicht abstrakt, sie hat sehr konkrete Folgen. Folgen für die Beschäftigten, für die Strukturen in unseren Einrichtungen, für den gesamten freien Bereich – und für Bremen als Kulturstadt. Diese Konsequenzen möchte ich jetzt benennen.
1. Belastung der Beschäftigten
- Gefahr von Überstunden, nicht genommener Urlaub, ständige Überarbeitung.
- Hoher Stressfaktor durch Planungsunsicherheit.
- Konkrete Folgen: gesundheitliche Belastungen, steigende Krankheitsausfälle, Burnout.
2. Auswirkungen auf Personal und Strukturen
- Fachkräftemangel verschärft sich: Qualifizierte Menschen wollen unter diesen Bedingungen nicht mehr arbeiten.
- Einrichtungen geraten in Dauer-Krisenmodus: „Welches Feuer löschen wir zuerst?“
- Statt nachhaltiger Entwicklung nur noch kurzfristiges Reagieren.
3. Folgen für den Freien Bereich insgesamt
- Der freie Bereich wird nach und nach ausgedünnt.
- Ressourcen für Innovation, Kreativität und neue Projekte schwinden.
4. Qualitätseinbußen und gesellschaftliche Konsequenzen
- Die hohe Qualifikation der Beschäftigten kann im Alltag nicht mehr wirksam werden.
- Das führt zu einem messbaren Qualitätsverlust in der kulturellen Arbeit.
- Damit verliert Bremen langfristig kreative Innovationskraft.
Damit wir weiterarbeiten können bräuchte es:
- Erhöhung der Förderung & Inflationsausgleich
- Angemessene Ausstattung der bereits geförderten Institutionen.
- Ein Inflationsausgleich von ist unabdingbar, um die aktuelle Finanzierungslücke zu schließen.
Trotz all dieser widrigen Bedingungen halten die freien Kultureinrichtungen durch – mit enormem Einsatz der Beschäftigten und mit einem spürbaren Mehrwert für Bremen. Wir leisten nicht nur Kulturarbeit im engeren Sinn, sondern tragen tagtäglich dazu bei, dass unsere Stadt lebendig, vielfältig und solidarisch bleibt.
Und genau darum geht es im nächsten Teil: Die Stadt bekommt für ihre Investitionen in die freie Kultur weit mehr zurück, als oft sichtbar ist – für die Gesellschaft, für die Stadtteile, für die Attraktivität Bremens insgesamt.
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Part 2: Die Stadt kriegt was für ihr Geld!
1. Beitrag zur Stadtgesellschaft
Die freien Einrichtungen in Bremen sind weit mehr als Orte für Kulturveranstaltungen. Sie sind zentral für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für kulturelle Vielfalt und für eine lebendige Demokratie.
- Sie stellen Begegnungsräume dar, in denen Nachbarschaften gestärkt und soziale Netze geknüpft werden.
- Sie ermöglichen kulturelle Teilhabe unabhängig von Einkommen, Herkunft oder Bildungshintergrund.
- Sie verbinden in ihren Programmen Kultur, Bildung, Soziales und Stadtteilarbeit – und erreichen dadurch Zielgruppen, die klassische Kulturinstitutionen oft nicht erreichen.
- Empowerment & Bildung: Wir fördern Selbstwirksamkeit, kritisches Denken und solidarisches Miteinander.
Doch die Bedeutung von Kultur – und gerade auch von Stadtkultur und unseren Einrichtungen – geht noch weiter. Denn Kultur ist nicht nur schön, sie ist auch ein entscheidender Push- und Pull-Faktor für Städte. Sie entscheidet darüber, ob Menschen bleiben, ob sie kommen, ob sie eine Stadt als lebenswert wahrnehmen. Und genau hier knüpft der internationale Diskurs an. –> Faktor der viel zu wenig gewürdigt wird
2. Z.B. Creative City
Die Theorie der „Creative City“ – insbesondere durch Richard Florida geprägt – hebt hervor, dass städtische Entwicklung maßgeblich davon abhängt, wie attraktiv Städte für kreative, innovative und hochqualifizierte Menschen sind.
- Menschen dieser „Creative Class“ ziehen gezielt dorthin, wo sie eine offene, vielfältige und inspirierende Kulturlandschaft vorfinden.
- Orte, die kulturell lebendig sind, profitieren doppelt: Sie ziehen Talente an und halten sie langfristig.
3. Übertragung auf Bremen
Genau hier setzt die Arbeit von Stadtkultur Bremen und unseren Einrichtungen an:
- Wir schaffen niedrigschwellige Angebote, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.
- Wir entwickeln innovative Programme, die Bildung, Kunst und Soziales verbinden.
- Stadtkultur-Einrichtungen sind oft die letzten verlässlichen Orte im Quartier, die niedrigschwellig erreichbar sind. Sie wirken Gewalt und Isolation entgegen, schaffen Begegnung und tragen so aktiv zur sozialen Kohäsion bei
- Wir sind Ankerpunkte in den Stadtteilen – und gleichzeitig Treiber für Innovation im gesamten Ökosystem Bremens.
Creative City: Beispiel Güterbahnhof
Der Güterbahnhof verbindet künstlerische Praxis, gesellschaftliche Teilhabe und urbane Entwicklung – und leistet damit einen unverzichtbaren Beitrag zur kulturellen Vielfalt, sozialen Integration und kreativen Dynamik der Stadt. Orte wie der Güterbahnhof sind nicht nur Treffpunkte für Kreative, sondern auch Reallabore für demokratische, solidarische und nachhaltige Stadtgesellschaften.
Dass solche Orte für die Zukunftsfähigkeit einer Stadt entscheidend sind, zeigt auch die demografische Entwicklung: so wandern gerade junge Menschen ab, wenn eine Stadt kulturell und sozial unattraktiv wird.
Damit Bremen als Stadt eine attraktive und vielfältige Kunst- und Kulturszene hat, braucht es für die Kreativschaffenden und Künstler:innen gute Produktionsbedingungen.
- Neben bezahlbaren Arbeitsräumen und Ateliers gehören dazu Professionalisierungsmöglichkeiten zur Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität – auch um die Kreativen in der Stadt zu halten.
- Nicht wenige Projekte der Künstler:innen & Kreativen hängen zudem strukturell an den Einrichtungen und ermöglichen einen niedrigschwelligen Einstieg für den beruflichen Weg in die Kreativwirtschaft/Kunstbetrieb.
- Für die überregionale und internationale Sichtbarkeit und Vernetzung, braucht es Konsistenz. Beziehungen aufbauen, pflegen und Austausch ermöglichen, ist ein wesentlicher Bestandteil, um den Sprung aus der eigenen Blase und Szene zu schaffen. Aber: Internationalisierungsmaßnahmen fallen dem Mangel zum Opfer.
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Part 3: Planbarkeit – nicht mehr „nur auf Sicht fahren„
Jedes Jahr von Neuem planen. Das ist Alltag für viele Einrichtungen der Stadtkultur. Wir teilen die gleichen Fragen und Sorgen:
- Können die Befristungen fürs Stammpersonal verlängert werden – wer übernimmt die Aufgaben, wenn das nicht mehr geht? Finde ich gut ausgebildete Honorarkräfte, die flexibel sind, denen Mindestlohn reicht, um einzuspringen? Wie erhalten wir Erfahrungswerte, damit das Wissen nicht verloren geht?
- In diesem Jahr beantragen wir die Projektmittel für das kommende Jahr, ohne mit Gewissheit sagen zu können, wie hoch der Eigenanteil wirklich sein kann und ob überhaupt Personal zur Verfügung steht, das Programm durchzuführen. Die Qualität leidet, das volle Potential bleibt unausgeschöpft.
- Auf Sicht fahren ist riskant, auf Sicht fahren ist anstrengend, auf Sicht fahren bedeutet, keine Planbarkeit herstellen zu können.
- Auf Sicht fahren ist Mangelverwaltung.
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Part 5: “Was tun?”
Wir haben nun aufgezeigt, wie sich die aktuellen Rahmenbedingungen auf die Arbeit der freien Einrichtungen auswirken – und welche Folgen das für die Beschäftigten, für die Strukturen und letztlich auch für Bremen als Kulturstadt hat. Damit stellt sich die entscheidende Frage: Was tun?
Eine deutliche Erhöhung der Förderungen wäre eigentlich unabdingbar. Aber unter den aktuellen finanziellen Rahmenbedingungen – und angesichts der nachrangigen Bedeutung, die Kultur, und gerade die freie Szene, im politischen Bewusstsein oft hat – erscheint das kaum realistisch.
Deshalb schlagen wir etwas anderes vor: Wir brauchen eine gemeinsame Kulturförderstrategie. Einen Prozess, der über kurzfristige Ad-hoc-Maßnahmen hinausgeht und nachhaltige, strukturverändernde Wirkung entfaltet.
Wir wünschen uns noch mehr Transparenz – mit klareren Kriterien und noch nachvollziehbareren Entscheidungen und Entscheidungswegen.
Wir wünschen uns Partizipation – also die aktive Einbindung aller relevanten Akteur*innen: von Verwaltung und Politik über Verbände bis hin zur freien Szene, den Museen und Theatern.
Wir wünschen uns kontinuierliche Kommunikation – Austausch und Verständigung statt isolierter Einzelmaßnahmen.
Und wir wünschen und wir brauchen: eine langfristige Perspektive – Förderentscheidungen, die über Legislaturperioden hinaus Planungssicherheit schaffen.
Unser Vorschlag versteht sich ausdrücklich als Einladung: Lassen Sie uns diesen Prozess gemeinsam gestalten – partnerschaftlich, konstruktiv und mit dem Ziel, Kultur zu stabilisieren und die kulturelle Zukunft Bremens langfristig zu sichern
Oder anders ausgedrückt:
Um den Herausforderungen der kommenden Jahre gewappnet entgegentreten zu können – und Planungssicherheit sowie faire Bezahlung zu ermöglichen, und die Voraussetzungen zu schaffen, dass: die freien Einrichtungen – und generell Kunst und Kultur – weiterhin ihre zentrale Rolle spielen können (und zwar) für: gesellschaftlichen Zusammenhalt, Resilienz und Transformation, kulturelle Teilhabe, demokratische Gestaltung des Lebens in unserer Stadt und deren prosperierende Entwicklung, die sich nicht primär an ökonomistischen Kriterien orientiert, schlagen wir vor: ausgehend vom Kulturförderbericht 2018 in einem partizipativen und transparenten Prozess aller relevanten Akteur*innen aus Politik, Kultur und Verwaltung eine gemeinsame Kulturförderstrategie zu erarbeiten, bei der nicht einzelne Institutionen, Bereiche oder Akteur*innen gegeneinander ausgespielt werden, sondern bei der systematisch zusammengearbeitet und – mit viel Synergiepotential – der aktuellen Problemstellung in ihrer Komplexität begegnet werden kann und deren Ziele von einem geeigneten Wirkungscontrolling kontinuierlichen begleitet werden.